Es begann vor ziemlich genau zehn Jahren. Ein schwedischer Messgerätehersteller brachte die erste Gyroskop-Sonde auf den Markt, welche nicht auf einem rotierenden Kreisel beruht, sondern drei orthogonal angeordnete MEMS-Sensoren enthält (MEMS: micro electro-mechanical system). Es handelt sich um mikroskopisch kleine Siliziumstrukturen, welche in Oszillation versetzt werden. Erfahren diese Ring-oder Flügelstrukturen eine Drehung, bewirkt die Corioliskraft eine Auslenkung, was sich in einer Änderung des Schwingungsmusters äussert. Dieses wird mit Elektroden erfasst und als Abweichung der Bewegung von einer gradlinigen Bahn aufgezeichnet.

Mit MEMS-Sensoren und ohne bewegliche mechanische Teile konnten sehr robuste und trotzdem präzise Sonden entwickelt werden. Und diese waren gefragt. Erinnern wir uns an die Zeit vor der Finanzkrise: Der Wirtschaftsmotor brummte, allen voran der chinesische, und die Weltwirtschaft war hungrig nach Rohstoffen. In diesem Moment war eine Neuentwicklung, welche den Bohrlochverlauf auch in stahlverrohrten Bohrungen messen konnte, bei Explorationsprojekten hoch willkommen – vor allem auch deshalb, weil mit dieser Entwicklung Gyro-Sonden plötzlich zu einem erschwinglichen Preis zu haben waren.

Die ungeduldige Nachfrage mag dazu beigetragen habe, dass diese neuen Sonden auf den Markt kamen, bevor die Entwicklung der Software vollständig abgeschlossen war. So es war anfänglich nur möglich, geneigte Bohrungen zu vermessen. Dafür gab es aber bereits Geräte, auch wenn deren Einsatz aufwändig war. Die schwedischen Entwickler arbeiteten aber unter Hochdruck an einem Messverfahren und entsprechender Software, welche das Vermessen von vertikalen Bohrungen erlaubte.

Zu dieser Zeit hatte ich bereits Erfahrung mit verschiedensten Systemen zur Bohrlochverlaufs-messung, so auch mit dieser MEMS-Gyro-Sonde. Es war die Zeit, als ich mich von meinem bisherigen Arbeitgeber trennte und Polymetra GmbH gründete. Ein Feldeinsatz für ein Wasserkraftprojekt in Südafrika, auf das ich mich vorbereitet hatte, wurde kurz vor meiner Abreise abgesagt und ich sass plötzlich Däumchen drehend und mit hängendem Kopf in meinem Büro. Ich hatte eine Firma aber keine Arbeit. Und genau in diesem Moment kam die Anfrage aus Schweden, ob ich bereit wäre, als Berater für den Sondenhersteller weltweit Schulung für die neue Software durchzuführen. Natürlich war ich bereit. Etwas Besseres hätte mir kaum widerfahren können. Nach einem Aufenthalt in Schweden, wo ich in die neue Software eingeführt wurde, reiste ich kurz vor Weihnachten nach Australien zu einem Kunden, der auf Bohrlochmessungen in Explorationsprojekten, vor allem Eisenerz, spezialisiert war. Im Januar und Februar folgten zwei Reisen ins sehr kalte Val d’Or, etwa eine Flugstunde nördlich von Quebec. Ich konnte mich dann wieder richtig aufwärmen bei meinem nächsten Einsatz in Chile, wo ich mit zusammen mit einem lokalen Vertreter einen Kunden in der Atacama-Wüste besuchte. In der Zwischenzeit waren einige weitere Bugs aus der Software eliminiert worden und wir führten immer bessere Messungen durch. Später im Jahr erfolgte noch eine Reise nach Kamerun nochmals für eine Eisenerzexploration. Der dritte Einsatz im Eisenerz war in Kiruna in Nordschweden. Und schon war es wieder Winter geworden.

Ich hatte innerhalb eines Jahres alle fünf Erdteile besucht – neben der Schulung für Gyro-Anwendungen, war ich für ein Packertesting-Projekt in Indien – und ich hatte viele unterschiedliche Anwendungen gesehen. Die vielseitig gemachten Erfahrungen in Exploration und geotechnischen Anwendungen führte dazu, dass ich Zusätze für die Gyro-Sonden, wie Peilvorrichtungen, Zentrierungen oder eine GPS-Einheit entwickelte, welche wir hier in der Schweiz bauen und über den Sondenhersteller weltweit verkaufen. Dieser hatte sich unterdessen auch verändert. Nach der Übernahme durch einen australischen Konzern wurde die Produktion nach Australien verlegt. Als auch die Verlegung der Entwicklungsabteilung vor der Tür stand, sprangen die Schwedischen Ingenieure ab und gründeten eine eigene Firma, deren Produkte wir heute einsetzen und vertreiben. Es handelt sich dabei um MEMS-Gyro-Sonden der zweiten und dritten Generation.

Zum bisher grössten Projekt kam ich vor drei Jahren, als ich für Messungen für ein Kalisalzprojekt im Ural gelegenen Berezniki angefragt wurde. Eine deutsche Schachtbaufirma fragte mich an, ob es möglich sei 240 m tiefe, vertikale Bohrungen mit einer Genauigkeit von 40 cm zu vermessen. Eigentlich lag das damals ausserhalb der vom Hersteller angegebenen Messgenauigkeit. Aufgrund meiner Erfahrung war ich aber der Meinung, dass sie mit optimaler Ausrüstung zu unterbieten war. Das Projekt für meinen Auftraggeber bestand darin, zwei etwa 400 m tiefe Schächte zu erstellen. Da die obersten 200 m durch durchlässige Formationen führte, musste der Untergrund bis auf 240 m mit dem Gefrierverfahren stabilisiert werden, um einen Wassereinbruch in den Schacht zu vermeiden. Dazu wurden für jeden der beiden Schächte 48 vertikale Bohrungen im Richtbohrverfahren abgeteuft und mit einer Stahlverrohrung ausgebaut. Später sollte dann -40° C kalte Salzsole durch diese Bohrungen zirkuliert werden, um den Boden zu gefrieren. Wichtig war, dass zwei Bohrungen nicht stark voneinander abwichen, da sonst die Gefahr eines nicht vollständig geschlossenen Gefrierkörpers bestand und Wasser in den Schacht eindringen konnte, bevor dieser ausgekleidet und abgedichtet war. Um dies zu kontrollieren, waren Gyro-Messungen erforderlich. Ein Ingenieur der Schachtbaufirma hatte ausgerechnet, dass es günstiger käme, zwei Gyro-Sonden (anderes Fabrikat basierend auf rotierendem Kreisel) zu kaufen und einen lokalen Anbieter für Bohrlochgeophysik mit den Messungen zu beauftragen. Damit hätte jede Bohrung kurz nach dem Fertigstellen vermessen werden sollen.

Das Problem lag wohl nicht bei der Messgenauigkeit der Gyro-Sonden sondern war darauf zurückzuführen, dass die russischen Geophysiker keine Erfahrung mit diesen Tools hatten. Sie konnten die Qualität einer Messung nicht einschätzen und wussten nicht, wann eine Messung ungenügend war und wiederholt werden sollte. Das führte dazu, dass sie sich mit den ebenfalls russischen Richtbohringenieuren in die Haare gerieten („Die Bohrung weicht gegen Norden ab!“ „Quatsch, wir haben gegen Süden korrigiert!“ … und das auf Russisch). Die vor Ort arbeitenden deutschen Schachtbauer verstanden gar nichts und wussten am Schluss nicht, ob die Bohrungen den richtigen Verlauf hatten oder abwichen. Ausserdem hatte das ganze Projekt bereits viel Verspätung und alle waren unter Druck. Irgendwann zog der Projektleiter in Deutschland die Notbremse und begann nach einer anderen Lösung zu suchen. Und so kam ich zum Auftrag. Da sie keine Bohrung in Deutschland für Testmessungen zur Verfügung stellen konnten, hiess es, die Ausrüstung mit Winde, Dreibein, Schutzgehäuse für die Sonde, Zentrierungen und Peilvorrichtung zu verpacken und in den Ural zu schicken. Ich bin dann etwa 10 Tage später nachgereist mit der Gyro-Sonde im Gepäck.

Wie sich dann zeigte kam ich etwas zu früh. Die Ausrüstung war vom russischen Zoll noch nicht freigegeben worden. Die ganze Prozedur sollte noch etwa drei Tage länger dauern und viele Telefonate zwischen unsern Übersetzern und der Zollbehörde erfordern. Wie sich zeigte, war die Peilvorrichtung das pièce de résistance. Sie besteht aus einer Halterung mit Wasserwaaglibelle und einem aufgeschraubten Zielfernrohr. Diese Peilvorrichtung wird vor dem Einbringen der Sonde in die Bohrung am Schutzgehäuse befestigt und dieses so exakt in eine Referenzrichtung orientiert. Der russische Zoll verdächtigte mich des versuchten, illegalen Imports von militärischen Gütern. Ich musste den lokalen Ingenieuren und den Übersetzern genau erklären, worum es sich bei der Peilvorrichtung handelte. Ein lokaler Mitarbeiter meinte darauf hin, dass es in Berezniki mindestens zwei Geschäfte gäbe, welche Zielfernrohre für Jagdwaffen verkaufen würden. Die Zollverwaltung gab schliesslich die Ausrüstung frei, allerdings ohne Peilvorrichtung. Aber wie sollte ich nun präzise Messungen machen? Also bat ich den Mitarbeiter mit Kenntnis über Jagdzubehör und eine Übersetzerin, mit mir die nötige Ausrüstung einzukaufen. Das Zielfernrohr kostete umgerechnet etwa 70 Franken (… und deswegen ein so Riesentheater!). Im Baumarkt holten wir eine kleine Wasserwaage, eine Schraubzwinge und eine Tube Spezialleim für Metall. Abends im Hotel klebte ich die Halterung des Zielfernrohrs auf die Wasserwaage. Am nächsten Morgen war der Kleber ausgehärtet und zusammen mit der Zwinge hatte ich meine Peilvorrichtung à la russie und ich konnte endlich mit meinen Messungen beginnen.

Ich hatte vorgängig einen Generator verlangt sowie ein Fahrzeug, das die ganze Ausrüstung zu den Messstellen transportieren konnte. Der japanische Generator war brandneu, der ehemalige russische Militärtransporter uralt. Auf der Baustelle stellte ich das Dreibein über einer Bohrung auf und führte die Messung durch. Bei der Vermessung von vertikalen Bohrungen werden die Messungen bei der Ein-und Ausfahrt für eine Qualitätskontrolle verglichen. Für dieses Projekt durften die Fusspunkte maximal 40 cm auseinander liegen. War die Differenz grösser, habe ich nochmals gemessen. Nur wenige Messungen mussten wiederholt werden. Der Auftraggeber war äusserst zufrieden. Endlich hatte er zuverlässige Messungen. Auch die Effizienz erfreute ihn sehr. Während die lokale Geophysikfirma mit ihrem Lastwagen und einer grossen Winde anscheinend bis zu 10 Stunden für eine Messung benötigte, waren mein Assistent Igor und ich mit dem kleinen Transporter, dem Dreibein und der MEMS-Sonde ohne Aufwärmzeit viel rascher. Wir schafften vier Bohrungen pro Tag. Insgesamt hatte ich am Ende des letzten Messeinsatzes mehr als 70 Bohrungen vermessen. Der Generator funktionierte noch, der Militärtransporter nicht mehr.

Unser Messfahrzeug (ehemaliger Militärtransporter) mit Generator und Winde auf der Ladefläche und dem Dreibein vor dem rechten Bohrgerät – mitten in einem unendlichen Wald des Urals.

 

Eine neue Aufgabe stellte sich vor zwei Jahren, als wir den Auftrag erhielten, für einen Kunden eine Messausrüstung für Geothermiebohrungen in der Türkei zusammmenzustellen. Diese Bohrungen erreichen teils eine BHT (bottom hole temperature) von mehr als 200° C. Die Gyro-Sonde selbst ist für eine Maximaltemperatur von 90° C ausgelegt. Ein sogenanntes Heat Shield, ein Schutzgehäuse basierend auf dem Prinzip der Thermosflasche und aus einer speziellen Legierung gefertigt, ermöglicht den Einsatz der Sonde für solche Messaufgaben. Über den Sondenhersteller konnten wir ein solches Heat Shield aus den USA beziehen und zusammen mit Sonde, Peilvorrichtung, Zentrierungen und GPS-Einheit in die Türkei liefern.
Dabei stellten wir fest, dass dort die Erschliessung geothermischer Energie boomt, vor allem weil die Technologie vom türkischen Staat gefördert wird. Wegen der Dichte der Konzessionsgebiete wird verlangt, dass die meisten Bohrungen vermessen werden. Wir haben den Bedarf erkannt und sind vor einem Jahr ebenfalls in diesen Markt eingestiegen. Seither haben wir insgesamt 17 Geothermiebohrungen vermessen, die tiefste mit mehr als 3600 m.

Tiefe Geothermiebohrungen werden mit der gleichen Technologie gebohrt, wie sie in der Öl- und Gasexploration eingesetzt wird. Auch in solchen Bohrungen liegt die Temperatur oft über 90° C. Wir waren deshalb gut vorbereitet, als wir eine Anfrage einer Ölfirma erhielten. Vor einigen Monaten haben wir unsere erste Gasbohrung vermessen.

Vorbereitung für die Vermessung einer Geothermiebohrung in der Türkei. Da die Bohrung unter Druck steht, wird die Gyro-Sonde mit einem sogenannten Lubricator (am Kran hängend) eingebracht.

 

Ein enormer Vorteil dieser Gyro-Sonden ist aber der sehr breite Anwendungsbereich, den wir im Lauf der vergangenen Jahre stetig erweitern konnten. Neben wirklich tiefen Tiefbohrungen lässt sich die gleiche Sonde auch für die Vermessung von kurzen Ankerbohrungen, vorauseilenden Horizontalbohrungen im Tunnelbau oder für die Kontrolle von Raise-Drill-Bohrungen einsetzen, wenn der Durchbruch in eine Kaverne geplant ist.
Heute bieten wir Gyro-Messungen unter dem Label „Gyro-Services Switzerland“ an. Dies hat schon mehrmals zu Anfragen für grosse Projekte in der Öl- und Gasexploration geführt, für welche wir aber eine Nummer zu klein waren. Aber auch sonst gibt es immer wieder spannende Herausforderungen. Kürzlich hat unser Sondenhersteller eine sehr kleine aber trotzdem hochpräzise Gyro-Sonde mit einem Durchmesser von nur 21 mm auf den Markt gebracht. Dies sollte uns ermöglichen, Verlaufsmessungen in Erdwärmesonden unabhängig von magnetischer Beeinflussung durchzuführen. Ein anderes Verfahren zur Vermessung von sehr tiefen und teils auch gerichteten Bohrungen, für welches wir uns im Moment vorbereiten, ist die Anwendung eines Drop-Gyros. Die Sonde wird im Bohrstrang fallen gelassen, wobei am Schutzgehäuse befestigte Fingerzentrierungen den freien Fall abbremsen. Nachdem sie über der Krone gelandet ist, wird sie zusammen mit dem Bohrgestänge ausgebaut und dabei die Messung durchgeführt. Der Vorteil liegt darin, dass keine Winde benötigt wird und keine Standzeit für die Bohranlage anfällt.

Nein, dass mich Bohrlochverlaufsmessungen langweilen könnten, steht ausser Frage. Die Technologie macht stetig Fortschritte und ermöglicht uns neue Anwendungsgebiete zu erschliessen. Ausserdem lockt uns die Herausforderung, noch immer noch ein bisschen genauer zu messen……

Polymetra GmbH
Dr. Christoph Bühler
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