Seit mehreren Jahren geistert die Idee Cargo sous terrain durch die schweizerischen und internationalen Medien. Was 2011 als visionäre Idee – “Menschen oberirdisch – Güter unterirdisch” – aus den Reihen der Interessengemeinschaft Detailhandel der Schweiz (IG DHS) begann, konnte anfangs Jahr das Erreichen eines wichtigen Meilensteins verkünden: die Zusicherung der privaten Finanzierung für die erste Ausbauetappe bis zur Erteilung der Baubewilligung in der Höhe von 100 Mio. CHF.

Cargo sous terrain Fahrzeuge transportieren Waren durch den Tunnel. Quelle: CST.

Dies sind auch sehr gute Nachrichten für uns Geologen und Planer: in den kommenden zwei Jahrzehnten sollen bis zu 500 km Tunnel und unzählige Zugangsschächte im schweizerischen Mittelland entstehen, für deren Realisierung unser Know-how unabdingbar sein wird. Zum Vergleich: die Länge sämtlicher Strassentunnels in der Schweiz beträgt gut 420 km und das Ausbauvorhaben entspricht in etwa dem Ausbau der Wasserstollen im Zeitraum 1950–1980.

Bedeutet die gesicherte Finanzierung nun, dass sogleich Projektierungsaufträge vergeben werden? Damit diese Frage nachvollziehbar beantwortet werden kann, muss das innovative, auf Standardkomponenten basierende, aber trotzdem komplexe Konzept von Cargo sous terrain etwas erläutert werden.

Cargo sous terrain ist weit mehr als ein langes Tunnelsystem. Als vollautomatisches Gesamtlogistiksystem soll es zukünftig den wirtschaftlichen Transport von kleinteiligen Gütern von der Produktionsstätte bis zur Verkaufsstelle ermöglichen. Die Reise von Produkten auf Paletten, Paketen oder Kleinbehältern beginnt und endet abseits des Tunnels. Die Sammlung und Feinverteilung ist integraler Bestandteil der Dienstleistung von Cargo sous terrain. Der Kunde wird über eine offene IT-Plattform einen Transport seiner Ware von A nach B buchen und den Ankunftstermin festlegen. Ein lokaler Transporteur wird die Ladung beim Kunden abholen und zum nächsten Zugangspunkt des Tunnelsystems bringen. Dort werden die gesammelten Güter automatisch auf die Transporteinheiten von CST umgeladen und erreichen über einen Lift den Tunnel in rund 30 m Tiefe. Im Herzstück von CST angelangt, beginnt die gemütliche, energieeffiziente Reise mit gleichmässiger Geschwindigkeit von 30 km/h zum Zielschacht. Entlang dieser Strecke werden die Fahrzeuge sortiert und bei Bedarf auch verzögert, so dass Güter mit gleicher Zieladresse und Auslieferungstermin bereits hintereinander am Hub ankommen, dort auf ein Verteilfahrzeug passender Grösse umgeladen und durch dieses zum Bestimmungsort gebracht werden. Auf dem Weg zurück zum Hub werden Retouren und Recyclinggüter gesammelt.

3D Simulation Lift und Tunnel. Quell: CST.

Cargo sous terrain ist also ein Logistikprozess mit einer 500 km langen unterirdischen Sortier- und Transportanlage mit oberirdischer Feinverteilung. Mit diesem Prozess wird die Logistik nachhaltig verändert und bedingt Anpassungen bei allen Marktteilnehmern, aber auch bei den Städten und den Infrastrukturen. Getrieben wird die Entwicklung durch die sich verändernden Konsumgewohnheiten. Neue Technologien und Mobilitätskonzepte, Sharing Economy etc. werden dabei bei der Ausgestaltung der Lösung Cargo sous terrain ebenfalls ihre Spuren hinterlassen.

Zurück zur eingangs gestellten Frage: Nein, Projektierungsaufträge werden noch nicht vergeben. Bis es so weit ist, stehen noch zahlreiche Schritte an. Die Finanzierung war eine der Auflagen des Bundesrats, damit ein Cargo sous terrain Gesetz überhaupt ausgearbeitet und zur Behandlung in die Räte gegeben wird. Mit diesem Gesetz soll sichergestellt werden, dass das Projekt analog zu anderen Infrastrukturen nationaler Bedeutung, gesamthaft in einem Plangenehmigungsverfahren bewilligt werden kann. Nur so ist eine durchgängige Realisierung des Tunnels überhaupt möglich. Parallel dazu gilt es die Standorte für die Zugänge zum Tunnel an der Oberfläche entlang der 1. Ausbauetappe zu sichern. Denn ohne “Haltestellen” gelangen keine Güter in den Tunnel und dieser wäre wertlos. Somit wird schnell ersichtlich, dass momentan Juristen und Immobilienspezialisten am Werk sind. Erst wenn diese Eckwerte fixiert sind und das Gesetz genehmigt ist, beginnt die eigentliche Projektierung. Dann gilt es die raumplanerischen Grundlagen zu erarbeiten. Die Sachpläne Verkehr des Bundes müssen untereinander koordiniert und für die Anpassung der Richtpläne den Kantonen zur Verfügung gestellt werden. Projektseitig werden diese Prozesse mit der Weiterentwicklung der vorliegenden Machbarkeitsstudie zu einem Vorprojekt unterstützt. In dieser Phase ist eine hohe Kadenz in der Projektierung zu erwarten, gilt es doch möglichst rasch zu einem bewilligungsreifen, gesellschaftlich akzeptierten Projekt zu gelangen, so dass nach 5–6 jähriger Bauzeit die erste Teilstrecke aus dem Raum Härkingen bis Zürich in Betrieb genommen werden kann und die privaten Investoren bald eine Rendite verbuchen können.

Dass wir in der Schweiz Tunnels bauen können ist klar. Cargo sous terrain betritt jedoch Neuland mit dem weltweit einmaligen Gesamtkonzept. Für den Erfolg des Projekts gilt es also schwerpunktmässig die durchgängige Steuerung des Transportprozesses und eine effiziente Feinverteilung an der Oberfläche in den bereits stark frequentierten Zentren sicher zu stellen. Entsprechend liegt der Fokus derzeit auch bei diesen bewilligungsunabhängigen Herausforderungen. Wir Geologen und Ingenieure werden uns noch einige Zeit gedulden müssen, obwohl wir alle unsere Kenntnisse und Erfahrungen bereits heute in die Waagschale werfen möchten.

Johannes Graf, Dr. sc. nat. ETH, dipl. Geologe