Eine Baustelle der Superlative mit Frauenpower – Teil 1

Teil 1

Die Firma BTG Büro für Technische Geologie AG (kurz BTG) aus Sargans erbringt die geologische Baubegleitung am Los Nord für den Bau der zweiten Röhre des Gotthard-Strassentunnels. Andrina Vlasek und Nathalie Schläpfer, beide Geologinnen, stellten sich unseren Fragen.  

 

Source: Andrej Lesjak, öBL

 

1. Seit zwei Jahren herrscht am Süd und Nordhang des Gotthardmassives reger Baustellenbetrieb. Was ist der Stand der Arbeiten? 

Nathalie: Zurzeit laufen die Vorbereitungen für den Ausbruch der Hauptröhre. Speziell dabei ist, dass die Sprengarbeiten im Portalbereich nicht vom Portal in den Berg hinein erfolgen, sondern in die Gegenrichtung, d.h. vom Berg in Richtung Tunnelportal. Dies ist allerdings nur möglich, weil im Portalbereich vorgängig verschiedene Logistikbauwerke ausgebrochen wurden, die nun teilweise als Zugang zur zukünftigen Tunnelröhre genutzt werden. Der Vortrieb vom Gebirge in Richtung Portal hat den Vorteil, dass die Arbeiten am Voreinschnitt von beiden Richtungen erfolgen können. Momentan befinden wir uns an einem spannenden Punkt: Dem Übergang vom Fels (Aare-Granit) ins Lockergestein. Wir sind gespannt, ob die Prognose mit dem Befund übereinstimmt! 

 

Andrina: Gleichzeitig stellen wir weitere Logistikbauwerke am Ende des Zugangsstollen Nord fertig. Ca. 4 km ab dem Portal Göschenen treffen wir auf einen bautechnisch schwierigen Abschnitt, die Störzone Nord, in der druckhafte Gebirgsverhältnisse erwartet werden. Die Störzone Nord befindet sich am Übergang vom Mesozoikum (teilweise kakiritisierte Kalk- und Tonschiefer des Jura) ins Permokarbon (ebenfalls teilweise kakiritisierte Serizit-Schiefer). Der Zugangsstollen wurde mit einer Tunnelbohrmaschine (TBM) aufgefahren, damit die Störzone konventionell ausgebrochen werden kann, bevor die TBM des Hauptvortriebes dort ankommt. Wenn die TBM die Störzone erreicht, befindet sich dort bereits ein fertiger Tunnel, durch den die TBM ohne Zeitverlust durchgeschoben werden kann, um danach ihren normalen Vortrieb wieder aufzunehmen. 

 

 

2. Ihr seid Teil der örtlichen Bauleitung, was sind Eure Aufgaben? 

Nathalie: Unsere Hauptaufgabe besteht darin, nach jedem Abschlag sowie laufend während dem maschinellen Vortrieb der TBM die angetroffenen geologischen Verhältnisse zu kartieren und zu beurteilen (geologische Einheit, Trennflächen, Bergwasser, Standfestigkeit Gebirge, Beurteilung Ausbruchmaterial, notwendige Sicherungsmassnahen etc.). Den Befund halten wir in einem geologischen Baujournal fest und gleichen diesen laufend mit der Prognose ab.  

 

Andrina: Ebenfalls ein wichtiger Teil unserer Arbeit stellt die Begleitung von Sondierungen zur geologischen Vorauserkundung über- und untertage sowie unsere beratende Tätigkeit für die Bauleitung bei geologischen Fragenstellungen dar. Nebst den täglichen Arbeiten im Tunnel überwachen wir in regelmässigen Abständen die Oberflächenquellen in der näheren Umgebung zu den Untertagebauwerken hinsichtlich möglicher Veränderungen in ihrem Schüttungsverhalten.  

 

 

3. Die Baustelle ist noch jung. Was war Eure erste geologische Herausforderung und wie habt Ihr diese bewältigt? 

Nathalie: Im Portalbereich von Göschenen ist der Fels mit künstlicher Auffüllung (Tunnelausbruchmaterial des bestehenden Bahntunnels) und Hangschutt mit grossen Blöcken bedeckt. Seit Baubeginn wurden im Portalbereich Göschenen mehrere Sondierbohrungen, zahlreiche Injektionsbohrungen und diverse Stollen erstellt, wodurch wir neue Erkenntnisse über den Felsverlauf gewinnen konnten. Anhand der neuen Daten haben wir die Prognose des Felsverlaufs laufend verfeinert. Die Interpretation, ob es sich nun tatsächlich um Fels oder doch „nur“ um einen Grossblock handelt, war nicht immer eindeutig. Erfahrungen zeigten, dass es hier keine Seltenheit ist, Blöcke von einigen 10er Kubikmetern Volumen anzutreffen. Als grösste Herausforderung empfinde ich den Umgang mit diesen Unsicherheiten. 

 

Andrina: Die grösste geologische Herausforderung steht uns noch bevor: die Durchörterung der Störzone Nord. Im Mai 2024 beginnen wir mit den Ausbrucharbeiten in dem stark gestörten Gebirgsabschnitt. Die grosse Herausforderung wird sein, die angetroffenen Gebirgsverhältnisse richtig zu beurteilen und daraus die notwendigen Sicherungsmassnahmen festzulegen, damit die erwarteten druckhaften Gebirgsverhältnisse nicht zu Instabilitäten, Niederbrüchen und damit zu Verzögerungen im Vortrieb führen.  

 

Source: Hansjörg Vlasek

 

Vielen Dank für den spannenden Einblick in Eurem Berufsalltag!

 

Teil 2 erscheint im nächsten Newsletter!

 

Mehr Informationen über das Projekt findet Ihr unter: A2 Zweite Röhre Gotthard | Startseite (gotthardtunnel.ch) 

 

 

Das Interview führte: Monica Vogel