Eine Baustelle der Superlative mit Frauenpower – Teil 2
Hier geht's zum 1. Teil des Interviews...
1. Wie seid Ihr dazu gekommen, in diesem männerdominierten Projekt zu arbeiten?
Nathalie: Ich habe 2019 bei BTG gestartet und durfte bereits vor diesem Projekt erste Erfahrungen im Untertagebau sammeln. Die Arbeit und die ganze Atmosphäre untertags gefielen mir vom ersten Moment an. Als ich dann gefragt wurde, ob ich mir vorstellen könnte bei diesem Jahrhundertprojekt mitzuwirken, fiel mir die Entscheidung leicht.
Andrina: Mich hat das Projekt an sich interessiert, da hat es für mich keine Rolle gespielt, dass es ein männerdominiertes Umfeld ist.
2. Existieren in Eurem Arbeitsumfeld Vorurteile oder Stereotypen? Wie geht Ihr damit um?
Andrina: Bevor ich meine Arbeit im Tunnel begonnen habe, wurde ich mehrmals gewarnt, dass die «Untertägler» ein ganz eigener Schlag Menschen sind und ich mich in Acht nehmen soll. Viele Mineure sind abergläubisch und denken daher immer noch, dass Frauen im Tunnel Unglück bringen. Meine Erfahrung zeigte aber, dass wir -nach anfänglicher Skepsis- sehr herzlich aufgenommen wurden von den Mineuren! Mit der Zeit wurden uns bei jeder Begehung auf der Tunnelbohrmaschine Kaffee und Essen angeboten, trotz Sprachbarrieren plaudern sie gerne mit uns über die angetroffenen Mineralien und sind sehr hilfsbereit. Leider muss man sich als Frau doch immer noch einige Kommentare gefallen lassen, da das Vorurteil, dass Frauen auf dem Bau nichts zu suchen und zu sagen haben in einigen Köpfen noch immer existiert. Ein Bauführer meinte einmal zu mir, dass er sich meinen Namen (der wohlgemerkt immer gut sichtbar auf dem Helm steht) erst merkt, wenn ich mit ihm geschlafen habe. Trotz der Unterstützung vom Team und unserem Büro, belasten solche Situationen das Miteinander auf der Baustelle. Aber mit jeder Frau mehr auf der Baustelle, gewöhnen sich alle daran und der Umgang wird leichter.
3. Wir Frauen geben gerne allem einen Namen, haben die Tunnelbohrmaschinen eigene Namen?
Nathalie: Tunnelbohrmaschinen haben traditionell Frauennamen. Unsere Tunnelbohrmaschine für den Zugangsstollen zur Störzone Nord hatte einen Uri-Stier vorne drauf und hiess Carla. Die im Süden war komplett pink und hiess Delia.
4. Wie ist das Leben in Göschenen? Wohnt Ihr im Dorf oder pendelt ihr?
Nathalie: Als ich auf der Baustelle startete, wohnte ich in einem kleinen Studio mit direktem Blick auf die Baustelle. Obwohl der kurze Arbeitsweg (weniger als 1 Minute!) sehr angenehm war und ich auch das Leben in Göschenen aufgrund der zahlreichen sportlichen Möglichkeiten und der wunderschönen Natur schätze, bin ich nach knapp einem Jahr nach Altdorf gezogen; denn ein wenig Abstand zum Arbeitsort ist doch sehr hilfreich, um am Abend richtig abschalten zu können.
Andrina: Ich habe es genau umgekehrt gemacht und bin von Altdorf in ein Studio nach Göschenen gezogen. Am Anfang waren wir Mitarbeitenden der Baustelle nicht besonders beliebt, weil wir für Lärm und Staub im Dorf Göschenen gesorgt haben. Unterdessen hat sich der Unmut gelegt und wir werden ab und zu neugierig angesprochen, wie weit wir denn schon im Tunnel seien und viele finden die Arbeiten spannend.
5. Wie bewältiget Ihr die Herausforderungen des Schichtbetriebs in Bezug auf Eures Privatleben, und welcher Ausgleich findet Ihr dafür?
Andrina: Momentan arbeiten wir Tagschicht, der Schichtbetrieb mit Früh- und Spätschicht beginnt mit dem Vortrieb in der Störzone Nord ab Mai 2024. Wir sind auch gespannt, wie das sein wird.
Nathalie: Wobei Tagschicht in unserem Fall nicht gleich Tagschicht ist… Da der Unternehmer 24/6 Schicht arbeitet, müssen wir uns seinem Sprengrhythmus anpassen. So ist es keine Seltenheit, dass wir auch mal nachts eine Ortsbrust aufnehmen. Als Ausgleich hilft da bei mir nur eines: Sport und Zeit mit Freunden.
6. Habt ihr schon schöne oder aussergewöhnliche Mineralienfunde gehabt?
Andrina: Im Aare-Granit hatten wir einige Mal das Glück, auf eine offene Kluft mit Quarzkristallen zu treffen. Beim Ausbruch der Betonkaverne stiessen wir auf den bisher aufregendsten Fund: rosa Fluoritkristalle auf grossen Bergkristallen! Für die Bergung der Mineralien sind aber nicht wir verantwortlich, sondern die Mineralienaufsicht des Kantons Uri.
Vielen Dank für den spannenden Einblick in Eurem Berufsalltag!
Mehr Informationen über das Projekt findet Ihr unter: A2 Zweite Röhre Gotthard | Startseite (gotthardtunnel.ch)
Das Interview führte: Monica Vogel