Interview Franz Schenker - Der Gletschergarten nahe am Herzen – Teil 2
Hast Du den ersten Teil des Interviews verpasst? Dann findest Du den hier im Newsletter vom Mai 2023 zum nachlesen.
Das Quartier musste über einige Jahre mit Erschütterungen rechnen. Wie gut kam das Projekt bei der Nachbarschaft an?
Eine gute Ausgangslage war, dass der Gletschergarten als Institution sowohl in der Stadt Luzern wie auch im Quartier sehr gut verankert ist und geschätzt wird. Alle Anwohner wurden schon sehr früh zur Informations- und Diskussionsveranstaltungen eingeladen, mit freiem Eintritt und anschliessendem Apéro. Einsprachen gab es meines Wissens nur zwei, über welche man sich schnell und gütlich geeinigt hat. Insgesamt wurden 460 Sprengungen durchgeführt, hin und wieder wurden AnwohnerInnen respektive ihre Kinder auch dazu eingeladen, die Zündung auszulösen, was sie sehr freute. Im Quartier vibrierten die Fensterscheiben, aber der Löwe im Denkmal wurde durch die Erschütterungen wie geplant nicht geweckt. Übrigens, für Steinige: Gemäss Mark Twain handelt es sich beim Löwen um «the most mournful and moving piece of stone in the world”
Hast Du noch eine lustige Anekdote zum (Um)-Bau?
Es brauchte viel Überzeugungsarbeit um den ausgebrochenen Sandstein als Betonzuschlag zu verwenden. Heute sind fast alle Beteiligten stolz darauf, nachhaltig mit dem Baurohstoff umgegangen zu sein. Nicht so glücklich sind die Architekten, da der im Sandstein in geringen Mengen enthaltene Pyrit an der Oberfläche der blendend weissen Pavillionwände oxydiert und rostige Schlieren hinterlässt. Ästhetisch unbefriedigend, weshalb die Knöllchen hin und wieder herausgespitzt und die Löcher weiss vermörtelt werden.

Was gefällt Dir im Felsengang am besten?
Im Stollen ist der Fels grau, wird nun aber allmählich durch Kalksinter und Rost etwas farbiger. Beim Aufstieg – von der dunklen Unterwelt an die Oberfläche – durch den offenen Schacht über die 172 Treppenstufen wirken die freigelegten Schichtflächen grün, lebendig. Bereits mit wenig Licht wachsen Algen, Flechten und Moose. Weiter oben einzelne Mini-Farne und sogar kleine Stängel von Samenpflanzen. Rezente Paläobotanik auf 20 Millionen Jahre altem gerippelten Meeresboden, dies mitten in der Stadt.
Dann gibt es noch das Kosmophon, einer von vielen fantastischen Installationen der Szenographen von VELVET: Man kann in einen Schalltrichter hinein ein Lied singen oder eine Botschaft sprechen, diese werden in Radiowellen umgewandelt und so durch den Schacht hinauf ins Weltall geschickt, sich ausbreitend bis in alle Ewigkeiten.
Sehr gut gefällt mir auch die Symbiose vom Gewachsenen, dem Felsen, mit dem Gemachten, den Betonbauten. Die Architektin und die Architekten von MILLER+MARANTA haben die tektonische Struktur des Gebirges bis in die Feinzeichnung des Schalungsbildes hinein übernommen und weitergeführt.

Auf was bist Du am meisten Stolz im neuen Gletschergarten?
Irgendwie habe ich immer fast zu viele Ideen und bin dann auch froh, wenn die eine oder andere realisiert werden kann. Das gelingt dann, wenn auch andere Personen, im Falle des Felsengangs der Stiftungsrat, die Direktion und Mitarbeitende, Sponsoren, Planer, Unternehmen sowie Behörden von der im Ursprung vorhandenen Begeisterung infiziert werden. Dass dies beim Projekt FELS gelang, hat wohl mit der allgemein vorhandenen schieren Faszination für geologische Phänomene zu tun – denn es waren ja die freigelegten Gletschertöpfe als Zeugen der Eiszeit, welche vor 150 Jahren zu einem ersten Publikumsauflauf führten. Auch damals waren es zwei Geologen, Franz Josef Kaufmann und Albert Heim, welche ihre Passion weitergeben konnten.
Franz, vielen Dank für das Interview.
Das Interview führte: Monica Vogel